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Klappe zweiter Generation

Bereits in der Frühphase der Anwendung der Melody-Klappe war Philipp Bonhoeffer klar, dass die Indikationen auf einen relativ kleinen Patientenkreis beschränkt waren. Erst im letzten Jahrzehnt hatte man die klinische Bedeutung der pulmonalen Regurgitation erkannt. Die pulmonale Regurgitation ist wahrscheinlich das größte klinische Problem bei Erwachsenen, die in ihrer Kindheit angeborene Herzfehler überlebt haben. Bei vielen dieser Patienten wurde kein Conduit (künstliches Gefäß) durch einen Chirurgen eingesetzt. Stattdessen haben ihre Pulmonalklappen entweder nie funktioniert, oder sie waren aufgrund früherer Operationen beschädigt. Aus anatomischer Sicht stellte dies eine äußerst schwierige Herausforderung dar.

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Philipp Bonhoeffer beschloss, diese Problematik anzugehen und nahm Kontakt mit dem „Istituto Politecnico“ in Mailand auf, um mit den Ingenieuren ins Gespräch zu kommen. Das war der Beginn einer äußerst ungewöhnlichen und erfolgreichen Zusammenarbeit. Philipp Bonhoeffer band die forschenden Ingenieure eng in sein Klinikteam ein, das sich mit Klappenimplantaten beschäftigte. Die Ingenieure Silvia Schievano und später Claudio Capelli schrieben ihre Doktorarbeit über dieses Thema und begannen ihre Laufbahn im Bereich Biomedizinische Technik. Sie arbeiteten eng mit der bildgebenden Abteilung unter der Leitung von Prof. Andrew Taylor zusammen. Diese Gruppe führte in Zusammenarbeit mit einer Gruppe promovierender Medizinstudenten (Louise Coats, Philipp Lurz, Johannes Nordmeyer) ausführliche Studien an Patienten durch, die Pulmonalklappen brauchten, ohne dass zuvor einen Conduit implantiert worden war.

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Anatomische Varianten

Im Rahmen dieses Projekts konnte die Klappe nicht in den bekannten Aufbau eines chirurgisch implantierten Conduits eingesetzt werden. Vielmehr galt es, der Vielzahl von Patienten mit allen Arten von angeborenen Herzfehlern und ihrer jeweiligen Anatomie gerecht zu werden.

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Die Dehnbarkeit der anatomischen Stelle konnte mit den zur Verfügung stehenden bildgebenden Verfahren nicht genau bestimmt werden – das aber war äußerst wichtig, um zu entscheiden, ob ein Stent sicher in die Implantationsstelle eingesetzt werden konnte. Der Stent konnte durch andere muskuläre Bestandteile der Implantationsstelle so sehr belastet werden, dass seine Funktionsfähigkeit langfristig in Gefahr war. Es war offensichtlich, dass eine brauchbare Methode der pulmonalen Implantation einen großen klinischen Nutzen für eine große Anzahl von Patienten haben würde. Um die Entwicklung eines solchen Projekts für die Medizinindustrie interessant zu machen, musste die Methode einfach sein und keine große Anzahl von Formen und Größen der zu implantierenden Geräte erfordern, sodass sich die Kosten in Grenzen hielten. Das Team entwickelte virtuelle Implantationstechniken, mit denen theoretisch konzipierte Vorrichtungen getestet und via Computersimulation in die dank CT- oder MRT-Aufnahmen vorliegende Echtanatomie von Patienten eingesetzt werden konnten. Dank dieser modernen Methode war eine optimale Entwicklung der Vorrichtung gewährleistet, und die Notwendigkeit von Tierversuchen konnte signifikant reduziert werden. Stattdessen führten Produktprüfungen und In-vivo-Experimente schnell zu zufriedenstellenden Ergebnissen.

2008 sah sich Philipp Bonhoeffer mit der klinischen Realität eines Patienten konfrontiert. Ein Ingenieur Anfang 40, mit komplizierter medizinischer Vorgeschichte. Er litt unter einem angeborenen Herzfehler und hatte viele Herzoperationen über sich ergehen lassen müssen. Bei seiner letzten Operation musste der Chirurg seine Mitral- und Pulmonalklappe ersetzen. Der Chirurg konnte nur den Mitralklappenaustausch vollständig abschließen, musste aber den Austausch der Pulmomalklappe wegen großer chirurgischer Schwierigkeiten aufgrund vorangegangener Eingriffe abbrechen. Der Patient litt unter schwerwiegenden postoperativen Problemen und blieb stark symptombehaftet, da die Pulmonalklappe auch nach der Operation nicht funktionierte.

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Aufgrund von Problemen, die wegen eines angeborenen Herzfehlers auftraten, war es nicht möglich, diesen jungen Mann und Vater von zwei Kindern erneut zu operieren. Der Patient war ein geeigneter Kandidat für die von Prof. Bonhoeffer und dem Unternehmen Medtronic gemeinsam entwickelte Technik. Nach ausführlichen Gesprächen mit dem interdisziplinären Team aus Kardiologen, Radiologen, Herzchirurgen, und – vielleicht am wichtigsten – mit den biomedizinischen Ingenieuren entschloss man sich, Medtronic um die Genehmigung zu bitten, dem Patienten diese letzte Chance zu ermöglichen. Schließlich wurde dem Patienten die Möglichkeit eines solchen Verfahrens vorgeschlagen. Es war das dritte Mal, dass Philipp Bonhoeffer ein “Zuerst am Menschen”-Verfahren vorschlug, und er wollte seine zuvor gewonnenen Erfahrungen nutzen, um dem Patienten auf von der technischen Seite her die bestmögliche Versorgung zu bieten.

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Das Team

Noch wichtiger war seine Entscheidung, den Patienten eng in das geplante Verfahren einzubinden. Für Philipp Bonhoeffer war es eine Ehre, mit einem Patienten von solch hohem Intellekt zusammenzuarbeiten, mit dem er sich über die komplexen technischen und ethischen Seiten der neuen Operationstechnik austauschen konnte. Als der Patient sein Interesse an dem Verfahren bekundete, wurden alle erforderlichen behördlichen Genehmigungen eingeholt und erteilt. Philipp Bonhoeffer nahm auch mit der zuständigen Ethikkommission Kontakt auf und unterbreitete ihr seine ungewöhnlichen Vorschläge zur Zustimmung zum Verfahren – diese  wurden durch die weitere Diskussion noch bereichert und von der Kommission vollständig aufgegriffen.

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Philipp Bonhoeffer setzte neue Maßstäbe bei der medizinischen Zustimmung.

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